Wir werden tatsächlich, wie von der Mitarbeiterin der Abobil angekündigt, von Möwen aufgeweckt. Die unruhigen Seelen schreien sich die Kehlen aus dem Hals raus, laut und klagend. Sind das Lachmöven? Ihre Rufe sind echt nervig, wenn man noch nicht ganz ausgeschlafen ist. An den Schlaf ist nicht mehr zu denken. Guten Morgen, Sonnenschein!
Aus dem Fenster meiner Koje kann ich sie gut beobachten. Sie beobachten uns. Sie sind schlau. Eine Möwe entdeckt mich und meinen Hund am Fenster, stolziert langsam um unser Wohnmobil herum, stets fixiert uns mit ihren Augen. Dann landen welche von ihrer Gattung auf‘s Dach unseres „Hauses“, ich trete dagegen, - sie fliegen weg. Aber nicht weit. Immer wieder versuchen welche bei uns zu landen, ich trete - sie fliegen fort. Nein, es hilft nichts, man muss, will oder nicht, aufstehen.
Ich beobachte, dass Möwen immer wieder auf‘s Dach des Nebengebäudes, des Geschäftes BOHUS, landen und dabei stets miteinander „quatschen“, ehe gellend „schreien“. Wahrscheinlich ihr Schreien ist eine Art Begrüßung, aber uns, mir und Torsten, kommt es vor, als ob sie streiten würden.
Aber nein, sie streiten nicht. Ich vermute, dass sie dort ihre Nistplätze haben. In Müllacker (Deutschland). wo wir mal Halt gemacht hatten, sahen wir Enten, die auch auf dem Dach einer Schule ihre Nester gebaut haben. Die Natur passt sich an.
Hier stört Möwen keiner, ehe sie sind diejenigen, die man als Friedensstörer bezeichnen kann. Aber wiederum gerade das stört sie überhaupt nicht. Ich sehe, dass ein paar Vögel etwas im Schnabel tragend, auf das Dach von BOHUS landen. Sicherlich haben sie dort entweder einen Nest mit Eiergelege oder mit bereits geschlüpften Kücken. Klug…

Schlawiner/-in

Unser Beobachtungsposten
Wir duschen uns ausgiebig, sodass das Wasser nicht schafft, sich aufzuheizen. Ich bin diejenige, die sich mit kaltem Wasser am Schluss duschen muss. Entsteht eine Diskussion, dass es so nicht weiter gehen kann. Demnächst gehe ich als erste unter die Dusche, ich will auch mal warm haben. Die Fronten sind geklärt, die weisse Fahne wurde gehisst.
Das Frühstück beruhigt unsere strapazierten Nerven. Wo geht es heute hin? Torsten, der Planer, will eine Gedenkstätte besichtigen. Mir ist ganz gleich, er plant die ganze Reise, ich bin der Nutznießer. Letztendlich, betrachte ich es als seine Reise. Meine Reise würde woanders gehen. Aber das ist seine Reise, seinen Traum, er hat es mehr als verdient. Ich befürchte nur, dass mit seinem Knie diese Reise wird nicht das, auf was man lange gesehnt hat. Hoffentlich hilft ihm die Salbe, Bandage und Tabletten, wieder gesund zu werden. So ein Pech aber …

Überraschende Begegnungen auf E 39
Auf dem Weg zum Haugesund müssen wir auf die E39, die nicht so spektakulär ist, wie die Landstraße 44, die Autobahn bzw. die Schnellstraße eben. Und dann sehen wir direkt am Autobahn Eltern mit Kinder auf der Picknickdecke sitzen. Ich wundere mich und denke, der 1. Mai, freier Tag, und sie haben nichts Besseres zu tun, als mit Kinder zum Autobahn zu gehen, was ist denn das?
Dann sehen wir überall Menschen am Autobahn entlang und auf der unzähligen Brücken, welche wir passieren, stehen. Manche winken, wir winken zurück und wissen immer noch nicht, warum Norweger mit ihren Kinder dort stehen. Was ist das? Ist das eine Tradition in Norwegen? Ist es eine Aktion zum 1. Mai oder eine Demonstration? Der Verkehr staut sich. Ob wir heute unser Ziel erreichen?
Und dann fällt uns auf, dass es uns immer mehr Motorradfahrer entgegen kommen, auf der gegenüberliegenden Seite natürlich. Nicht einer, nicht zwei, tausende Motorradfahrer, manche als Plüschtiere verkleidet. Jetzt ist alles klar, warum so viele Menschen auf der Brücke stehen, sie winken den Motorradfahrern zu. Und es ist echt eine sehenswerte Show. Ich versuche zu googeln: was ist das? Eine Tradition? Warum fahren sie alle in gleiche Richtung? Nicht in unsere. Der Google weisst nicht davon, die KI sowieso erzählt einen Stuss.
Vielleicht ist es eine Art Parade, die nur in Bryne oder weiter in der Richtung hinter Bryne stattfindet? „Wo fahren sie denn hin?“,- kommt mir die Frage aus Sketch vom LORIOT (Auf dem Ippodrom). Wir lachen und sehen am Vorbeifahren, dass es auch eine Ausstellung der historischen Automobilen gibt. Leider ist es zu spät. Wir fahren weiter. Sonst kommen wir nie an, wohin wir eigentlich wollen.

Der Parkplatz vor der Gedenkstätte in Haugesund
Der Weg bestimmt der Fahrer, wir kommen nach Haugesund. Hier ist das Denkmal zur Ehre des Königs Harald Hârfagre zu sehen. Wer er war und was er war, erfahren wir, wie immer, von der Infotafel. Danke für diesen Service!
Die Infotafel ist in norwegischer, englischer und, o wie schön, in deutscher Sprache zu lesen. Dafür bin ich besonders dankbar, Englisch habe ich in der Schule nicht gehabt, habe mich für deutsche Sprache entschieden, die Sprache meiner Vorfahren. Englisch blieb deshalb auf der Strecke.

Der Obelisk zur Ehre des Königs Harald Hârfagre
Vom Infostand erfahre ich, dass es um ein Reichsmonument von 1872 handelt. „1872 wurde bei den Ruinen der Steinkirche von Gard ein 17 m hoher Grantiobelisk aufgestellt, der an die Schlacht im Hafrsfjord 1000 Jahre zuvor erinnern sollte. Der Obelisk symbolisiert die Einheit des Reiches und wird von 29 Fylke- oder Provinzsteinen umgeben, je einer aus jedem der altnordirschen Fylker, die von Harald Hârfagre zu einem Reich vereint wurde…“. Henrik Ibsen, norwegischer Poet und Schriftsteller, hatte für diesen Obelisk ein Gedicht verfasst. Der Tag der Aufstellung des Obelisken wurden eine „Tausendjahrfeier“ und wurde im ganzen Land ein Feiertag. Es war am 18 Juli 1872.

Crosshaug
Gegenüber des Obelisken ist ein „KROSSHAUG“ zu sehen. Es ist ein Steinkreuz auf dem Hügel Krosshaug aus frühchristlicher Zeit. „Derartige frühe Steinkreuze waren Zeichen für die Christianisierung von heidnischen Gräbern, zur Markierung von christlichen Versammlungsorten vor dem Bau der Kirche und wo als auch als Gedenksteine errichtet. Ein solches Kreuz deutet auch darauf hin, dass der Ort schon in vorchristlicher Zeit z.B. als Thingstätte von Bedeutung war. Dieses Kreuz steht direkt auf dem Felsen und nicht auf einem Grabhügel. Bischof Fridtjov Birkelid, der norwegischen Steinkreuze eingehend studiert hat, vermutet, dass dieser Kreuz möglicherweise als Denkmal zu Ehren des ältesten Sohnes von König Harald Hârfagre, König Eirik Blodeks errichtet wurde, der im Jahre 945 in England verstarb. Der Kreuz ist fast 3 Meter hoch. Es brach im Winter 1846-47 entzwei und wurde 1869 wieder errichtet, indem man die zerbrochenen beidenTeile mit Eisenringen aneinander befestigte…“

Neuer Bekannter von Torsten - Joachim
Aber mehr Insiderwissen über Norwegen haben wir von Joachim bekommen. Als wir auf dem Parkplatz vor dem Obelisk ausgestiegen sind, sprach er Torsten an. Er dachte, wir wären Schweizer, er selber, wie es herausstellte, kommt auf Österreich. Joachim war sehr offen und gesprächig. Er als LKW-Fahrer musste wegen dem Festtag eine 24-Std. Pause einlegen. Er freute sich mit Torsten deutsch zu sprechen, norwegisch ist nicht leicht für ihn. Als LKW-Fahrer ist er alleine unterwegs und kann mit keinem Norwegisch sprechen, um diese Sprache eigen zu machen, erklärt er uns. Mit dem Chef und seiner norwegischen Freundin spricht er Englisch. Joachim gab uns viele Informationen über das Land, wie die Norweger „ticken“, wo man was findet, was dies oder jenes bedeutet.
Das war sehr informativ, da es aus der ersten Hand kommt und weil er selber in diesem Land der Ausländer ist, und die Nuancen des Lebens hier von genüge kennengelernt hat. Außerdem ist er stets auf Achsen, hat viel gesehen und hat uns viel empfohlen. Seine Tipps sind für uns die Bereicherung. Er sagte, dass es in dieser Stadt noch ein Denkmal von Harald Hârfagre gibt, er wollte hin. Wir folgen seinem Rat und treffen uns mit ihm vor diesem Denkmal wieder. Sprechen über alles, wo er lebt, wie teuer er für seine Wohnung zahlt, wie ist es mit dem Auto hier, wie mit dem Einkaufen, mit dem Gesundheitswesen, mit Steuern und und und…
Der „Stadler“, die Firma, wo Torsten arbeitet, kennt er auch. Sagt, dass sie auch Mitarbeiter suchen, nur es ist nicht seine Branche. Joachim ist sehr sympathisch, Torsten und er tauschen die Telefonnummer aus am Denkmal des Haralds, des Königs des geeinigten Reiches. Irgendwie symbolisch! Dann trennen sich unsere Wege. Wir wünschen einander gute Fahrt und versprechen ihm, dass wir, wenn wir Hilfe brauchen, sich bei ihm melden und auch sonst im Kontakt bleiben. Torsten meint, dass er sehr hilfsbereiter Mensch ist. Ich stimme ihm zu. Schön, solche Begegnungen zu haben, mitten in einem unbekannten Land.

Nochmal der König Harald, sieht sympathisch aus 😉
Später erfahren wir, dass er den Beinamen „Das Schönhaar“ hatte
Wir müssen mit der Fähre weiter. Kassiert wird auf dieser Fähre nicht, die Rechnung kommt später. Das kennen wir aus unseren früheren Reisen. Das Auto und das Autokennzeichen wird automatisch erfasst.
Der Wind auf dem See ist stark, Schiffe und Fähren sowie Segelboote sind während der Überfahrt auf der See zu sichten. Die Fahrt dauert nicht lange und Torsten bleibt am Steuer sitzen. Ich schnappe frische Luft und bleibe im Wind stehen, auf dem Oberdeck der Fähre. Die Fähre ist nicht mehr neu, ein wenig in Jahre gekommen, aber bringt uns sicher zur nächsten Halbinsel und wir düsen weiter an Wälder, Felsen, Seen und Flüssen vorbei. Wir wollen zu einem Stellplatz und haben eine Wahl zwischen kostenlosem, aber ohne Strom und anderen Annehmlichkeiten, oder einem Superstellplatz vom VIKTOR (ich glaube, er ist ein Russe).
Viktor‘s Stellplatz ist teuer, aber alles inklusive und man kann bei ihm sogar ein Boot mieten und zum Angeln rausfahren. Torsten entscheidet sich für kostenlosen Parkplatz in Førde, weil dort in der Nähe ein REX GARDEN ist.
Angekommen. Und es fängt an zu schütten wie aus Kübeln. Raus zum Garten gehen - ist unmöglich. Wir wärmen Reste von gestriger Mahlzeit auf, trinken heissen Tee mit norwegischen Teilchen. Torsten ist begeistert von norwegischen Teilchen, weil sie alle mit Zimt verfeinert sind, zumindest die wir gekauft haben. Manche schmecken wie Franzbrötchen in Deutschland. Ich nehme mir ein Puddingteilchen und stelle fest, dass es auch ordentlich mit Zimt gewürzt ist.
Im norwegischen Supermarkt habe ich ein Gebäck entdeckt, das an ein russisches Gebäck meiner Kindheit erinnert, Korschik. Es war Sandgebäck für 18 Kopeken, mit einem Glas Tee kostete es zusammen 20 Kopeken. Wir haben uns als Kinder oft dieses Menü gegönnt. Torsten dagegen findet nichts an diesem Gebäck, meckert und meint, er hätte es mit Schokolade überzogen, dann wäre es gut. Ich „muss“ ihn belehren und ihn daran erinnern, dass in der Zeit, als ich Kind war und es gekauft habe, war er (Torsten) nicht mal in der Planung und dass zu dieser Zeit, Schokolade in der Sowjetunion nicht gerade überall zu kaufen war. Dagegen hat er keine Argumente, und mampft das „russisch“-norwegische Gebäck auf.

Unser Stellplatz in Førde
Der Regen wird stärker, ich bin müde und gehe ins „Bett“, Torsten räumt den Tisch auf und legt sich danach auch zum Schlafen. Spät abends bin ich wieder wach, die Nachtstickerin eben, wie eine Eule, und beginne in meinem Tagebuch zu schreiben. Wenn ich nicht dran bleibe, werde ich die Orte und unsere Begegnungen durcheinander bringen, deshalb bleibe ich dran.
Inzwischen habe ich mir überlegt, meine Notizen in meinem Blog zu veröffentlichen. Wer weiss, vielleicht findet sie jemand interessant. Das geht mir durch den Kopf. Der Gedanke, dass ich meine Notizen sorgfältig korrigieren und auch immer wieder den Schreibstil verbessern muss, schreckt mich erstmal ab. Ich lasse mir ein wenig Zeit zum Überlegen, welche Argumente dafür und welche dagegen sind und welche die Oberhand gewinnen.
Inzwischen ist der Regen aufgehört. Der Himmel ist in Pastellfarbe Rosa. In mir steigt die Hoffnung, dass der Besuch des Königsgartens am nächsten Morgen doch noch gelingt. Ich hätte gern, bevor wir weiterreisen, den Spaziergang auch zum Strand gemacht.
Der 1. Mai 2025 hat auch sein Ende gefunden. Zeit zum Träumen…
Den 1.05.2025, Førde, Norwege
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