Kapitel 9, den 5. Mai 2025 Vassenden bringt uns zum Nachdenken

Auf dem Weg nach Vassenden


Traditionell nach dem Frühstück bereitet Torsten das Automobil für weitere Reise vor: das Frischwasser tanken, die WC-Kassette entleeren, Schläuche und Kabel für Stromanschluss einrollen, alle Schränke und den Kühlschrank richtig absichern. Alles, was durch die Gegend fliegen kann, wird sicher verstaut. Nichtsdestotrotz fällt ab und zu während der Fahrt irgendwas runter, weil man an dies oder jenes nicht gedacht oder einfach vergessen hat. Aber auch aufgrund der physikalischen Gesetze, die wir nach der Schulzeit aus dem Kopf verdrängt haben. Immer wieder kommt die Frage, wer war der Letzte und nicht an dies oder jenes gedacht. Trotzdem sehe ich, dass wir bereits als Team wie eine Uhr ticken. Jeder weiss, was gemacht werden soll und achtet darauf bzw. versucht darauf zu achten und nichts vergessen.

E39 Richtung Vassenden

 

Wir kehren zurück nach Hylkje, wo wir einen grossen Gashändler vor drei Tagen beim Vorbeifahren gesichtet haben. Torsten hält das Auto an und geht zum Händler, ich bleibe im Wagen. Nach kurzer Zeit kehrt er zurück und erzählt, dass die Vorrichtung zum Gasauffüllen gar nicht zum Kaufen für Privatleute erlaubt. Kann ich mir schon denken warum. Torsten steht die Erleichterung auf dem Gesicht geschrieben. Der Händler füllt ihm eine Flasche auf. „Wieso eine?- frage ich ihn und mein Gatte sagt, - es war ja nur eine, die anderen sind voll“. Wie bitte? Und deswegen haben wir diesen Umweg gemacht? 

 

Torsten, glaube ich, nicht ganz wohl dabei, dass ich so reagiere. Er sagt, wenn wir zurück sind, werde ich bei Amazon danach suchen.
-Wonach?

- Nach der Vorrichtung zum Gasauffüllen.

- Wozu, bitte? Wo willst du selbst Gas anzapfen wollen und können?

 

Ich bin dann doch ein wenig perplex und sage, du brauchst doch das gar nicht, zum Ersten. Und zum Zweiten, war das nötig, anstatt Ruhe zu genießen sich solche Sorgen wegen dem Gas zu machen, wenn man noch 2 Flaschen davon voll als Reserve hat?

 

Ich wusste immer schon, dass Torsten vorausschauender Mann ist und seine Schritte immer gut vorher überlegt, aber das fand ich schon ein bisschen übertrieben. Ich dachte, wir erfrieren, wenn wir kein Gas jetzt und heute bekommen. Tja…. Man sollte vielleicht Gedanken machen über die Worte Jesu Christi: „Macht euch keine Sorgen um den nächsten Tag…“,  was diese Worte eigentlich bedeuten und wie man diese Einstellung bewahren kann.

Vassenden und die Landschaft um den Fluss Jølstra


Torsten jetzt ist guter Laune, seine alle Sorgen von gestern sind in die Luft aufgelöst und er schlägt vor, einkaufen zu gehen. Die Kleinigkeit eben. Aus einer Kleinigkeit wird ein doch präsentabler Einkauf.

In KIWI gibt es eine Selbstbedienungstheke für Süssigkeiten mit verschiedenen Süsswaren wie Toffees, Lakritzen aller Art, Gummibärchen und Schokolade. Wir schaufeln uns die Tüten voll mit Lakritzen, Toffees und Schokis aller Art, dass man sich an der Kasse ein wenig schämt und schlechtes Gewissen bekommt. Diese Verschämtheit verfliegt sofort, wenn wir in unserem Wohnmobil einander erzählen, wie dies oder jenes schmeckt. Probier mal dies… ja, das schmeckt. Wenn wir in die Rückreise eintreten, müssen wir unbedingt diese Sorte kaufen, sowas gibt es nicht bei uns oder sie sind sehr teuer in der Schweiz.

 

Fröhlich fahren wieder zurück bzw. kehren um in richtige Richtung, um die Franzosen nachzujagen. Nein, nein, wir fahren mit einem gemütlichen Tempo. Wenn jemand hinter uns fährt und Torsten eine Möglichkeit hat, anzuhalten, hält er an und lässt alle, die eilig haben, vorbei sausen. Es ist in Norwegen die Regel, haben uns später die Norweger selbst erzählt: Man sollte dem schnelleren Auto Platz machen.

Manchmal während solchen Stopps, springe ich raus, um Fotos zu machen oder ein kleines Video von der Natur aufzunehmen. Unser Ziel ist es, etwa 100 km am Tag zurückzulegen. Dieses Tempo ist nicht sehr anstrengend. Man hat noch die Zeit, die Natur zu genießen, die Stopps zu machen, um shoppen zu gehen oder zu essen. Das tut einfach gut, stressfrei zu bleiben und nicht hetzen zu müssen. Das braucht vor allem Torsten. Um Stress abzubauen, benötige ich meine Stickerei, dann komme ich zur Ruhe. Torsten und Sticken wird nicht funktionieren … 

Auf dem Weg man Vassenden

 

Ich kaufte im Supermarkt eine norwegische Zeitung  und Kugelschreiber. Ich bin auch sehr vorsichtig und habe Angst unterwegs ohne Stifte zu bleiben und nicht mehr meine Kreuzworträtsel lösen zu können. So macht sich jeder seine eigenen Sorgen.

 

Aus der Zeitung versuche ich die Neuigkeiten aus der Welt zu entziffern bzw. „entbuchstabieren“, indem ich zuerst auf norwegisch lese. Schön, dass kein Norweger das anhören muss. Natürlich versteht man auf norwegisch nur „Bahnhof“. Der nächste Schritt ist es zu erraten, worum es geht. Der dritte Schritt ist der einfachste: ich mache Foto vom Text, kopiere den Text und gebe ihn in Google Übersetzer-App ein. Im Nu weiss ich, ob ich richtig gelegen war oder nicht. Meistens, falsch… 

 

Ein Rastplatz irgendwo auf dem Weg nach Vassenden 

 

Irgendwann ist das auch nicht mehr interessant und ich genieße einfach die Naturbilder, die an unserem Fenster vorbei rauschen: Berge, Seen, Wälder, Wasserfälle, Wasserläufe, Flüsse, Moorgebiete, Birkenhaine und ähnliche und nicht die gleiche und wieder vor vorne.

 

Und als nicht mehr auszuhalten ist, lenkt Torsten das Auto auf einen Seitenstreifen eines Platzes, diesmal neben einem uns unbekannten Fluss und macht Stopp. Wir entdecken alte Steinbrücke, die uns beide ohne auseinander zu zerbröckeln halten kann. Machen ein paar Selfis, hinter uns ist sehr schöne Kulisse aus Bergen und Flüssen. Schilka macht schnell Gassi und schnuppert die Luft. Man hört die Meise laut singen, ich sehe sie, sie kam und beäugelte uns und war sofort wieder weg, blieb nur ihr Lied, man hört ihre Stimme laut und klar. Wir fahren weiter. Unser Ziel heute ist Vasseden. Dort ist ein Campingplatz Sølrenning, wo wir übernachten wollen.

 

Campingplatz Sølrenning


Der Campingplatz ist nicht gerade einladend, aber okay, wir übernachten ja in unserem „Zuhause“. Es stehen kleine Ferienhäuser da, aber sie sind sehr klein, ich schaue aus Neugier rein ins Fenster. Die Einrichtung ist karg: kleines Tischchen mit Herdplatte, ein Buffet und 2-Etagen-Bett, alles auf 6-10 m2. Die ganze Einrichtung ist alt und nicht gerade einladend. Auch von aussen sehen Ferienhäuser schlecht aus. Ich würde keinem diese Häuschen empfehlen. Aber vielleicht einer oder anderer raftingbegeisterte Sportler nimmt es in den Kauf. Der Platz an sich ist schön. Sehr schöne Aussicht und der Fluss Jølstra ist für diese Sportart mehr als geeignet. 

Campingplatz Jølvassbu von oben 

 

„Die Jølstra ist ein Fluss in der Gemeinde Sunnfjord im Fylke Vestland im Westen von Norwegen. Der Fluss ist 22 Kilometer lang und bildet den Abfluss aus dem See Jølstravatnet. Die Jølstra hat eine durchschnittliche Abflussmenge von 43,9 m' pro Sekunde. Die höchste Menge betrug 256 m pro Sekunde, die niedrigste 1,2 m3 pro Sekunde.“

 

So wird dieser Fluss beschrieben. Als wir auf der Brücke über dem Jølstra stehen und runter schauen, wird mir von den Wassermassen und der Stärke dieses reißenden Flusses fast schwindelig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in dieser Zeit so wagemutig ist, um nur einen einzigen Schritt in diesen Fluss zu setzen. Vielleicht im Sommer wird Jølstra sich beruhigen und nicht so wild sein? 

Wild und nicht bezähmt Jøsltra

Bild von oben auf Vassenden und Friedhof

 

Wir gehen mit Torsten noch durch den Ort um Beine zu vertreten und ihn zu erkunden. Wir sehen einen anderen Campingplatz Jølvassbu und der sieht schon viel besser aus. Sollten wir uns umparken? Nein, okay. Gegenüber diesem Campingplatz befindet sich eine Kirche mit einem Friedhof. Wenn ich einen Friedhof sehe, habe ich ein Bedürfnis, ihn zu besuchen. Ich sehe die Grabsteine an und lese die Namen, es macht mich nachdenklich. Es ist vielleicht eine Art, meine eigene Trauer zu bewältigen, diese Trauer ist in mir und wird wahrscheinlich nicht so schnell weggehen. 

 

Torsten kommt immer mit mir mit und hat nie was dagegen, wenn ich das Bedürfnis habe, einen Friedhof aufzusuchen. Er geht mit und ist genauso interessiert an Menschen, denen die Vergangenheit gehört. Wie waren sie, was arbeiteten und wie lebten? Auf den alten Gräbern findet man oft deren Geschichten. Das haben wir oft im Norden (in Deutschland) auf den alten Grabsteinen gesehen bzw. gelesen. 

Auch auf norwegischen Grabsteinen steht manchmal über einen Verstorbenen, wer er war. Ich meine seinen Beruf. Es war früher sehr wichtig, heute steht auf den Grabsteinen gar nichts ausser Namen und Daten. Schade… Mir gefällt, dass Menschen früher ihren Beruf als ehrenvoll und erwähnenswert fanden. Oder auch auf dem Grabstein festgehalten, dass sie verheiratet waren und wie der/ die Gatte/-in hieß und wie viele Kinder sie hatten. Familie war auch nach dem Tod immer noch wichtig. 

„Angefangen mit Moses und allen Propheten legte er ihnen in den gesamten Schriften das aus, was ihn betraf.“

Sehr schön metaphorisch dargestellt… der Weg nach Emmaus. In Lukasevangelium Kapitel 24, Verse 13-27 nachzulesen.


Unsere Wege auf dem Friedhof trennen sich, jeder ist an dem oder jenem interessiert. Torsten ruft mich zurück: „Schaue, das ist interessant: Bilder mit Bibeltexten“. Ein Maler hat sehr schöne Bilder gemalt, nicht alle sind bibeltreu, aber einige sehr schön und ich fotografiere sie. Insbesondere gefiel mir ein Bild, auf dem Jesus Christus mit zwei Jünger unterwegs nach Emmaus dargestellt wird. Ich hätte dieses Bild gekauft. Vielleicht kann ich diese Idee für mich „klauen“ und selbst malen? 

Zeit zum Nachdenken


Auf manchen Grabsteinen, die schon alt aussehen, sitzen steinerne weisse Tauben, die sehen wie lebende aus. Auf einem anderen war der Vogel schwarz und ich fand ihn nicht schön. Auf dem Grabstein von Lovisa Björkeli entdecke ich ein Symbol, das genauso aussieht, wie eine Holzskulptur in Rex Garden in Førde: ein Kreuz, ein Herz und ein Anker. Später habe ich die Rätsel dieses Symbols gelöst: Diese drei Symbole stehen für Glaube, Liebe und Hoffnung. Das Kreuz steht für Glauben, das Herz für Liebe und der Anker für Hoffnung. 

 

Vom Grabstein von Ragna Hamar mit kurzer Aufschrift „Kyil i Fred“, was man auch ohne norwegisch zu sprechen, jeder verstehen würde, staunen wir über Ragnas hohen Alter, sie ist am 19.8.1915 geboren und am 10.3.2016 gestorben. Ich hätte gerne sie kennengelernt, sie könnte bestimmt viel erzählen. Jetzt ruht sie in Frieden bis unser Gott sie zum Leben ruft. Vielleicht werden wir dann miteinander sprechen können? So, kreisen meine Gedanken, wenn ich auf einem Friedhof stehe und an die Verstorbenen denke.

 

Abends in Vassenden

 

Es wird immer kühler und wir kehren zu unserem Auto zurück. Unsere Schilka war lieb und nicht geheult, deshalb verdient sie Lob und Umarmungen. Guter Hund. Wir müssen uns alle ein wenig ausruhen… Nachdenkliche Stimmung bleibt.

 

Der 5. Mai 2025, Vasseden, Norwegen



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