Kapitel 21, den 17. Mai 2025, Moskenes, Insel Olenilsøja

Der Blick zum See und zum Stellplatz von oben 


Heute Nacht versuchten wir uns auszuschlafen.,, Wir haben für den nächsten Tag auch nichts geplant. Die Auszeit ist auch etwas Schönes. Torsten hat sich schon mit fast allen Nachbarn bekannt gemacht. Morgens lässt er die Tür offen und kommt nicht zurück, ich höre nur seine Stimme bei einer regen Unterhaltung. Ihn zuzurufen, hat keinen Sinn. 

Ich nehme Schilka und gehe mit ihr raus. Aber sie mag nicht dort spazieren, wo keine vernünftige Straße gebaut ist. Außerdem hört sie die Stimme von Torsten und will nur noch zurück. Vor allem deshalb, weil ich eigentlich in eine andere Richtung gehe und sie muss hinterher trotteln. Sie mag nicht, wenn jemand über ihre Nase bestimmt. Ihr gefällt die Selbstbestimmung. Ein progressives Mädchen. 

Torsten hat endlich gemerkt, dass Zuhause keiner mehr ist und kommt zu uns bergauf. Er kann mit dem Knie nicht weiter, deshalb nimmt er Schilka und kehrt zurück. Ich gehe weiter einen fast unsichtbaren Pfad hoch. Ein sehr schönes Panorama hier - von oben. Plötzlich höre ich einen komischen Ruf und schaue hoch, in die Richtung von wo der Ruf kommt. Ich sehe großen Vogel, aber kann ihn nicht erkennen - wer das ist? Sofort filme ich ihn mit dem Handy, denn dann kann ich zoomen und hoffentlich besser sehen. Aber ich kann immer noch nichts erkennen, vielleicht ein Hahn? Ruft aber komisch…

 

Erst später, als ich wieder zurück bin und mir nochmal den Film angeschaut habe, erkenne ich, dass es kein Hahn war, sondern ein Schneehuhn bzw. -„Hahn“. Ich freue mich, dass ich auch diesen Vogel sehen durfte. 

Ich gehe weiter und kletterte auf den Felsen, sehe einen großen Steinhaufen und darauf eine Möwe sitzen. Aber nicht auf eine Weise wie sie immer sitzen, sondern eher wie eine, die auf Gelege sitzt. Ich gehe an ihr vorbei, möchte sie nicht vom Nest aufscheuchen. Sie begleitet mich mit ihren Augen, aber bleibt sitzen. Gut…

 

Hinter dem Felsen bleibe ich stehen, weiß nicht, ob ich weiter gehen kann. Der Boden ist nass, matschig und weich wie im Moor. Bekomme ein wenig Bedenken, dann wage ich mich ein Paar Schritte weiter und entdecke einen Pfad. So gehe ich darauf weiter und merke, dass der Boden immer matschiger und unstabiler wird. Das Wasser sammelt sich auf diesem Pfad, bildet einen Wasserlauf. Ich muss neben dem Pfad gehen und aufpassen, wohin ich trete. Das gefällt mir nicht und ich bleibe stehen. Es ist eine Stille, dass man gar nichts hört an diesem Platz: absolut gar nicht. Ich schaue auf den Boden, sehe das trockene Gras unter meinen Füßen. Mancher Grashalm bewegt sich im Wind. Aber ich höre ihn nicht. Was für eine Stille: diese Stelle würde ich als Therapieplatz für alle stressbeladene Menschen empfehlen.

 

Es ist Zeit zurück zum Wohnmobil zu gehen. Wir haben noch nicht gefrühstückt. Nach einem langen und ausgiebigen Frühstück, das um die Mittagszeit endete, beschäftigt sich jeder den eigenen Dingen. Meinem Mann wird eine Aufgabe aufgebrummt, meine Schreiberei zu korrigieren. Er tut mir jetzt schon leid. Ich weiß, dass es viel zu viele Fehler sind, insbesondere grammatikalische. Jedes Mal, wenn ich mich selbst kontrolliere, finde ich welche und nicht wenig, was mag er alles finden? Aber er verspricht mir, ordentlich zu arbeiten. Mein Korrektor- für wie lange - wann reicht es ihn? 

 
Ich habe die Bilder vorbereitet und will sie zusammenstellen, damit man mehr sieht , als liest. Besser einmal sehen, als 100 mal hören bzw. lesen. 

Die Aufnahmen von heute Morgen 


Immer, wenn ich etwas Schönes sehe, möchte ich es gern malen. Leider gelingt es mir nie, wie ich es in der Natur gesehen habe. So wird aus einem Bild von der Natur eine Art meiner Phantasie. Trotzdem bin ich dankbar für die Inspiration, die ich von der Natur schöpfen kann. Für mich sind diese Bilder mehr als nur eine Malerei zur Entspannung oder Zeitvertreib. Sie sind voller Erinnerungen, wenn ich sie wieder zur Hand nehme, es ist wie ein altes Foto, das dich aus der Vergangenheit grüßt.

 

Dasselbe ist es  mit meiner Stickerei: ich weiß in welcher Stimmung, mit welchen Emotionen ich diese oder jene Stickerei fertig gestickt habe. Sie sind nicht einfach nach einem Muster gestickte Bilder und sie sind nicht nur ein Handwerk. Es ist viel mehr für mich. Sie sind wie meine „Kinder“, ich weiß, wo ich einen Fehler gemacht habe, wie ich mich darüber geärgert und wie ich es wieder gut gemacht habe. Ich tue dies auf den Rat meines Therapeuten: etwas aufzuschreiben oder malen, was einem von Bedeutung ist oder war. So bleibt es bei einem und keiner kann es weg nehmen - die teuren Erinnerungen meines Herzens.

 

Ich denke, ein Mensch ohne Vergangenheit ist ein Mensch ohne Zukunft. Unser Leben, unsere Erfahrungen, unsere Fehler oder unsere Erfolge - all das sind wir, das macht uns aus. Je mehr, umso besser. Deshalb sind ältere unter uns so interessant. Sie haben viel gesehen, gehört und erlebt. Das Leben ist eine Schule, entweder wir lernen dort fleißig oder faulenzen und haben nichts daraus gelernt. Das erste wäre für jeden besser. Nur  leider sieht man in der Welt die Tendenz, von der Vergangenheit nichts wissen zu wollen. Na dann… 

Während mein Mann korrigiert meine unzähligen Fehler, male ich. Es ist sehr beruhigend und es ist sehr still hier


Als wir genug haben, ich vom Malen und Torsten vom Lesen, machen wir ein Mittagessen, das man aber ehe als Abendessen einstufen kann, denn inzwischen ist es schon fast 17 Uhr geworden. Nach der üppigen Mahlzeit (wir müssen alles beseitigen)  werde ich ein wenig müde und will nur schlafen. Die Nächte sind ja hier nicht vorhanden und man kann nicht gut schlafen. So nutze ich diese Phase, um den fehlenden Schlaf nachzuholen. Was später passiert- ungewiss. Vielleicht sticke ich weiter bis die Augen zusammenfallen? 


Während ich zusammen mit Schilka schlief, hat Torsten tolle Aufnahmen gemacht. Es gibt doch noch Fische, aber nicht mehr viel, - laut der Stellplatzbesitzerin Marta, der echten Norwegerin mit dickem blonden Pferdeschwanz und einer Figur, die stark an die Mutter von „Wickie“ erinnert. Früher haben ihr Mann und sie Stockfisch gemacht, jetzt lohnt es sich nicht mehr. Die Ständer aus Holz zum Fischtrocknen sind noch vorhanden, aber bleiben leer. Dafür haben sie einen schönen Platz für Wohnmobile gebaut und sind noch beim Ausbauen. Aber das Fischen hat ihr und ihrem Mann mehr Freude bereitet, sagt sie zum Schluss. Verstehen kann man das. 

Es gibt noch die Fischer im Dorf

 Die Fischköpfe werden auch getrocknet. Marta sagt, die getrockneten Fischköpfe gehen nach Afrika, weil sie sich den getrockneten Stockfisch   nicht leisten können. Schlimm ist es in der Welt geworden… In einer Dokumentarfilm sah ich , wie ein afrikanischer Hähnchenverkäufer sich beklagte, dass er seine Hühner nicht verkaufen kann, weil die Holländer die Reste von Hähnchen (ohne Schenkel, Flügel und Brust, die in Europa bleiben) billig an die Afrikaner verkaufen. Wie heißt es schön in einem russischen Kinderlied: „Vom Zieglein geblieben  sind Beinchen und Hörnchen…“. Nur den Rest des Reimes muss man nachträglich ändern: „Sie kommen nach Afrika - für uns ein Milliönchen“.

 

„Vom Zieglein geblieben  sind Beinchen und Hörnchen…Sie kommen nach Afrika - für uns ein Milliönchen“.

 Fische, Krebse, Muscheln u.ä.  - Möwen sind nicht wählerisch. Wie zwei Schiffchen gleiten sie auf dem See


Bevor wir alles verdunkeln, denn es ist schon 22 Uhr, mache ich noch ein paar Fotos, die uns von der Weltproblematik ablenken. Wie gut können die Tiere uns zeigen, dass die Erde und ihre Ressourcen allen gehören und nicht nur den Auserwählten. Sie fischen nebeneinander: Möwen, Kormorane, Austernfischer und andere. Wenn sie satt sind, entspannen sie sich, sie machen keine Vorräte. Diese Gelassenheit müssen wir lernen, denn letztendlich ist unser Leben ein Geschenk. Und der Geschenkgeber sorgt dafür, dass wir es lange genießen können. 


„Deswegen sage ich euch: Hört auf, euch über euer Leben Sorgen zu machen, also was ihr essen oder trinken sollt, oder über euren Körper, also was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben wichtiger als das Essen und der Körper wichtiger als die Kleidung?  Beobachtet genau die Vögel am Himmel. Sie säen nicht, ernten nicht und sammeln auch nichts in Vorratshäusern. Trotzdem ernährt sie euer himmlischer Vater. Seid ihr nicht mehr wert als sie?“

(Matthäus 6:25,26)

 

Den 17. Mai 2025, Moskines, Olenilsøya, Lofoten 

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