
Endlich nahe - das Schwänenpaar mit Nachwuchs
Heute überlegen wir uns, ob wir noch für eine Nacht hier bleiben sollen oder nicht. Das Wetter verspricht gut zu werden und ich hätte nichts dagegen diesen schönen sonnigen Tag direkt am Meer zu verbringen. Torsten geht daher nachfragen. Leider wurde unser Platz schon von jemandem reserviert, das ist entscheidend. Denn obwohl wir auf einem anderen Platz hätten stehen können, ist es nicht dasselbe und so fahren wir weiter. Halten nur kurz zum Einkaufen im Dorf an. Ich mache ein Foto von der Vitrine, wo ich die Krebse gesehen habe. Ich möchte sie gerne probieren, Torsten lehnt ab. Ich akzeptiere das, aber der Wunsch Krebse zu probieren ist geblieben. Man könnte es ja auch mal machen und einmal im Leben sowas essen, auch wenn da nicht viel zu holen ist. Der Wunsch wird nicht erfüllt.
An der Kasse fallen mir zwei Glasschränke mit einer enormen Vielfalt runder Döschen von „Lutschbonbons“, wie ich annehme, auf, in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen sind sie hier vertreten. Ich habe eine Idee, halte Torsten an und zeige sie ihm, wie wäre es, sage ich, wenn wir ein paar Döschen kaufen würden als Geschenk, Schokolade würde schmelzen, aber diese hier sind gut verpackt. Torsten fragt den Kassierer, was das ist und er sieht, dass wir keine Ahnung haben und erklärt uns, dass es sich um Kautabak handelt. Wir prusten alle, auch beide Kassierer. Danke, dass sie uns gewarnt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn wir diese Döschen jemanden geschenkt hätten. Oh man…
Während der Fahrt sehen wir viele schöne Plätze, wo man halten könnte, wir fahren jedoch immer weiter. Ich bin müde, aber versuche durchzuhalten. Ich schiele während der Fahrt auf das Handy von Torsten. Noch 2 Stunden… noch 1 Stunde… ich muss durchhalten.
Das Beste ist, wenn man die Schnellstraße verlässt, dann sieht man mehr von der Natur und der Umgebung. Da fliegen zwei weiße Schwäne, ein Paar. Schwäne haben wir immer wieder gesehen, welche die schwammen, tauchten oder auf dem Nest saßen. Jetzt sehen wir sie im Flug. Sehr schön und majestätisch. Warum auch immer erinnere ich mich in diesem Moment an das Buch, mit dem Titel: „Schiesst nicht auf weiße Schwäne“. „Не стреляйте в белых лебедей“, - sage ich laut. Torsten hat das nicht verstanden und fragt nach, doch ich schweige.
Wir fahren einfach weiter
Wir fahren weiter. Schöne Felder, die bereis abgeerntet sind, wahrscheinlich Heu, das für Kühe, Pferde oder Schafe für den Winter vorbereitet wurde. Denn wir fahren an diesen Tieren vorbei. Wie Idyllisch sieht es aus und friedlich, das Gras ist grün und saftig. Die Tiere sehen glücklich aus. Frei in der Natur. Ob Tier oder Mensch, wir alle brauchen mehr oder weniger dasselbe: friedliche ruhige Umgebung, Freiheit, die Nähe zur Natur. Wir tanken Kraft und Lebensfreude, Energie und Willenskraft.

Tolle Begegnung, sehe sie zum ersten Mal frei in der Natur
Die zwei Kraniche sieht Torsten zuerst und ruft mir zu, ich soll sie aufnehmen. Ich greife zum Handy und denke, schon wieder zu spät. Aber Torsten hält kurz an und ich sehe die beiden, sehr großen Tiere. Sie sind einfach wunderschön. Ich denke, sie werden jetzt wegfliegen, aber nein, sie gehen miteinander weiter und suchen nach Nahrung im Gras. Torsten kann nicht stehen bleiben und starten den Motor. Ich bin überwältigt und dankbar für diese Begegnung. Das haben wir beide nicht erwartet.

Wir kommen zum Campingplatz. Er ist groß, mit Strand am Meer ( es sieht aber aus wie ein See und es ist Brackwasser Salz- Süsswassergemisch) und hat für jeden etwas. Für mich zählt nur die Natur und ich sehe wieder die Rauchschwalbchen, die Haubentaucher mit Kücken auf dem Rücken, die Lachmöve, als ob sie uns von Rovågersvägen verfolgt hätte. Die sieht genauso aus wie vom Stellplatz der vergangenen Nacht. Und dann sehe ich noch ein paar Schwäne, mit einem Jungen.
Sie zu beobachten bereitet mir viel Freude. Der kleine ist immer in Bewegung wie kleines Kind, schwimmt hin und her und ich erkenne in ihm pure Freude am Leben, während seine Eltern sehr ruhig und gelassen bleiben, nach Nahrung suchend. Es ist 22 Uhr und ich sehe den Schwan immer noch am See, der andere ist nicht mehr zu sehen. Vielleicht ist es wie bei uns: normalerweise geht Torsten früher ins Bett, ich später. Und der eine ist früher „zu Bett“ gegangen.
Heute ist alles anders. Wir haben die Campingbesitzerin, eine Holländerin kennengelernt. Sie kann deutsch und erzählt uns ihre Geschichte, wie sie hier in Schweden ihr neues Leben gestartet hat. Sie ist eine sehr interessante Persönlichkeit, und man kann immer voneinander lernen.
Ich erzähle über meine „Entwurzelung“, dass ich meine Wurzeln irgendwie verloren habe durch die vielen Umzüge und dass ich meine Heimat, mein Zuhause nicht finden kann. Sie versteht das und sagt, du willst Sicherheit bzw. Stabilität. Ich denke darüber nach, irgendwie schon. Ich überlege mir das noch, denn ich kann nicht erkennen was mir fehlt, wo habe ich mich verloren. Was brauche ich?
Ich fühle mich wie ein Steppenläufer, das sind Pflanzen, die durch den Wind in der Steppe oder Wüste als rollende, vertrocknete Pflanzen oder Pflanzenteile verbreitet werden. Zwar sind Steppenläufer eine faszinierende Form der Pflanzenverbreitung, die durch den Wind und die einzigartige Fähigkeit dieser Pflanzen, sich als rollender "Bodenläufer" zu verbreiten, doch für einen Menschen ist diese Form des Lebens befremdlich.
Christine, so heißt die Campingbesitzerin, sagt etwas, was mich zum Nachdenken bringt: „Das Leben ist nicht sicher: heute hast du ein Auto, morgen - nicht; heute hast du das Haus, morgen - nicht; heute hast du Gesundheit, morgen - nicht. Sicherheit existiert nicht. Es gibt nur die Möglichkeit, die kannst du ergreifen oder nicht.“
Ich verstehe, was sie meint. Unsere Ängste - das sind unsere Bremsen. Es wird danach noch viel gesprochen und gelacht. Torsten will noch was ausgeben, ich bleibe ein wenig dabei und dann gehe doch raus. Musik, Gespräche, lautes Lachen - das macht mich müde, ich suche nach Ruhe. Ich versuche was zu schreiben, das Internet funktioniert gar nicht oder nur sporadisch. Ich mache daher meine Notizen im Handy und hoffe, sie morgen zusammenfassen zu können. Ich will noch lesen, doch überlege mir dann, nach meinem Mann Ausschau zu halten. Eigentlich möchte ich zu Bett gehen, bleibe dann aber doch wach und warte auf ihn. Er kommt und ruft mir, ich soll mit dem Handy rauskommen, aber leise. Es ist schon etwas dämmrig und dann sehe ich sie: Gänse mit ihren Kleinen die an uns vorbei schwimmen. Kurz vorher hat Christine uns erzählt, dass manchmal bis zu 50 Gänse kommen, um hier zu übernachten. Danach ist der Strand verschmutzt und sie ist deshalb verärgert, weil dann die Gäste sich darüber beschweren. Ich sehe es anders. Das ist Natur und ich freue mich so nah an der Natur zu sein. Die Gänse bemerken unsere Neugierde und suchen das Weite. Sie sind wild und wissen bereits, dass Menschennähe für sie nichts Gutes heißt. Schade, aber es ist notwendig, um den Nachkommen das Leben zu sichern.
Der Tag war lang…
Den 11.06.2025, Håesang. Schweden
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